Im Trachealkanülenmanagement aus therapeutischer Sicht begegnen uns Logopädinnen und Logopäden verschiedene Schnittstellen. Schnittstellen sind Berufsgruppen und Personengruppen, mit denen eine enge Zusammenarbeit wichtig ist. Sie kann aber auch problematisch sein. In diesem Artikel soll es um die Personengruppe der Angehörigen gehen.
Angehörige, das sind zunächst Familie und manchmal auch Freunde. Je nach Lebenswirklichkeit unserer Patientinnen und Patienten ist hier der Übergang fließend. Angehörige haben einen wichtigen Part in der Behandlung tracheotomierter Patientinnen und Patienten – und das ist nicht die Cotherapie.
Co-Therapie und interdisziplinär
Es ist keine neue Erkenntnis, dass sich Inhalte in der Behandlung und bei Tätigkeiten am und mit dem Patienten / der Patientin überschneiden. Eine intensive interdisziplinäre Therapie ist in der Regel zielführender als viele Einzeltherapien. Jeweils eine Berufsgruppe übernimmt in einer solchen interdisziplinären Therapieeinheit die Führung und die anderen handeln als Co-Therapeutinnen und -Therapeuten. Aber Co-Therapie findet man auch immer wieder in Form von angelernten Angehörigen, die Inhalte der Therapie übernehmen. Sie helfen beim Lagern, helfen beim Schlucktraining, unterstützen durch zusätzliche Therapieeinheiten. Wenn man Kolleginnen und Kollegen fragt, dann immer mit dem Ziel, die Therapiefrequenz zu erhöhen – viel hilft viel. Aber ist das so?
Aufgabenteilung
Viel wichtiger in diesem Zusammenhang ist doch die Frage, ob das sinnvoll ist. Natürlich erhöht ein zusätzliches Übungsangebot, erhöht eine zusätzliche „Behandlung“ durch Angehörige die Förderung unserer Patientinnen und Patienten. Mehr ist aber zunächst nur mehr.
Angehörige sind eine Schnittstelle in der Therapie – weil sie wichtige Aufgaben erfüllen. Diese Aufgaben liegen aber nicht in der Therapie! Wir Logopädinnen und Logopäden (aber auch die anderen Berufsgruppen), haben unser Handwerk gelernt, haben uns unser Wissen durch ein Studium angeeignet und kennen uns aus. Wir können begründen, warum wir eine Handlung setzen, warum wir etwas nutzen oder auch nicht nutzen. Dieses Wissen macht uns zu dem was wir sind: Therapeutinnen und Therapeuten. Angehörige haben die Inhalte nicht gelernt. Klar, sie können sich Handlungsschritte bei uns abschauen, können unser Handeln imitieren, Dinge nachmachen. Das ist eine andere Qualität.
Aber: Angehörige haben in der Behandlung tracheotomierter Patientinnen und Patienten sehr wohl eine Aufgabe. Und die ist wichtiger als man zunächst annehmen würde.
Lebensqualität
Machen wir einen kleinen Exkurs in die Lebensqualität. Mit Hilfe von Assessments kann man diese messen. Es existieren einige entsprechende Fragebögen. Lebensqualität ist dabei sehr individuell, aber es gibt durchaus typische Aussagen in diesem Bereich.
Bekannte und wichtige Faktoren, die die Qualität unseres Lebens bestimmen, sind beispielsweise die Kommunikation, die körperliche Unversehrtheit, Geld, Macht, die Umwelt, Freunde, Bewegungsfreiheit und viele weitere. Natürlich könnte man jetzt annehmen, dass die Lebensqualität unserer Patientinnen und Patienten mit Trachealkanüle sinkt. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass das gar nicht unbedingt sein muss. Viel mehr kommt es bei schwer betroffenen Menschen zu einer Verschiebung der Faktoren die Lebensqualität bestimmen. Beispielsweise nimmt die Wichtigkeit von Faktoren wie Umwelt, Geld, Macht und Bewegungsfreiheit ab – die Wichtigkeit von Faktoren wie Kommunikation, Zeit, Freunde, Familie nimmt gleichzeitig zu.
Freunde und Familie werden bei allen Untersuchungen die wichtigsten Faktoren für die Bewertung der eigenen Lebensqualität. Freunde und Familie, also Angehörige.
Das bringt uns zu unserer Schnittstelle zurück: Angehörige haben die Aufgabe, die Lebensqualität unserer Patientinnen und Patienten zu beeinflussen. Das ist zuweilen sicher eine schwere Aufgabe. Es ist aber wichtig, weil in einem eher positiven Setting mit höherer empfundener Lebensqualität auch die Therapie positiv beeinflusst wird. Angehörige haben also eine Aufgabe und stehen damit nicht als Co-Therapeutinnen und Co-Therapeuten zur Verfügung.
Quellen
- Lulé, D. et al. Live and let die: existential decision processes in a fatal disease. J Neurol 261, 518–525 (2014).
- Kühnlein, P. et al. Palliative care and circumstances of dying in German ALS patients using non‐invasive ventilation. Amyotrophic Lateral Sclerosis 9, 91–98 (2009).
- Fillbrandt, A. Kölner Befundsystem für Schluckstörungen im Schwerpunkt Trachealkanülen-Management. Prolog Köln (2018) ISBN 978-3956770456.