Ein denkwürdiger Tag. Nach langer Beratung, unzähligen Einlassungen und kurz vor Ende der Legislaturperiode ist endlich das neue MTD-Gesetz in Österreich beschlossen worden.
Das ist für mich aus mehreren Gründen wichtig und ein Erfolg.
Als Ausländer in Österreich, als Logopäde aus Deutschland, ist es schön zu sehen, wie sich die Logopädie weiterentwickeln kann. Wenn man lange in Deutschland gearbeitet hat, verliert man ein bisschen die Hoffnung, weil wenig auf eine Akademisierung hindeutet und Kompetenzen fehlen. Das ist in Österreich anders. Und jetzt werden unsere Kompetenzen erweitert und gefestigt.
Was ist neu?
Außerdem freut es mich, weil ich am Prozess dieses neuen Gesetzes beteiligt war. Nicht maßgeblich. Aber in einer aktiven Rolle in Diskussionen mit anderen Berufsgruppen über die neuen Kompetenzen für die Gesundheit Österreich GmbH. Und ja: ich habe dabei viel gelernt.
Das neue Gesetz ist Stand heute noch nicht kundgetan und vom Präsidenten unterfertigt. Aber es ist im Nationalrat beschlossen und wird am 11.7. im Bundesrat verhandelt.
Im Vorfeld gab es viele Diskussionen, Drohungen, Lügen und Nebelkerzen. So weit so vorhersehbar. Schlussendlich wird es die Versorgung unserer Patient:innen aber deutlich verbessern, das Logopädie-Studium weiterentwickeln helfen und uns mehr Sicherheit geben.
Was ist bemerkenswert:
- Fortbildungspflicht für alle gleich: 60 Stunden in fünf Jahren, wobei die Fortbildungen der aktuellen wissenschaftlichen Entwicklung folgen sollten, oder der Vertiefung von Berufsinhalten dienen
- Verordnung oder Weiterverordnung bestimmter Medikamente
- Verabreichen von Medikamenten
- Verordnung oder Weiterverordnung bestimmter Medizinprodukte
- Viele Leistungen im Rahmen der Prävention auch ohne Anordnung möglich
- Diagnostik
- Forschung und Lehre werden als fester Bestandteil des Berufes festgeschrieben
Medikamente und Medizinprodukte
Es klingt ein bisschen verrückt, dass im Gesetz jetzt steht, dass Logopädinnen Medikamente verabreichen dürfen. Den wenigsten ist wohl klar, dass wir das bisher nicht durften. Auch nicht im Rahmen von Schluckuntersuchungen oder Schlucktrainings. Da es jetzt als Kompetenz im Gesetz vermerkt ist, dürfen wir das nun, auch ohne eine explizite Delegation. Gerade für Placebos in Untersuchungen ist das gut.
Welche Medikamente und Medizinprodukte hingegen durch Logopäd:innen verordnet werden dürfen, entscheidet der/die Bundesgesundheitsminster:in auf Basis der Empfehlungen eines MTD-Beirates eben dieses Ministeriums.
Aber: wir dürfen diese noch zu benennenden Medikamente in Zukunft verordnen. Ein Beispiel aus Österreich ist das Xylocain-Gel, das bei Schluckuntersuchungen teilweise zum Einsatz kommt. Das ist hier verschreibungspflichtig, kann also nicht so einfach in der Apotheke gekauft werden. Über die Möglichkeit etwas zu Verordnen ist das in Zukunft kein Problem mehr. Gedacht wurde aber auch an Patient:innen, die im ländlichen Gebiet auf bestimmte Medikamente angewiesen sind und keine Möglichkeit haben, sich diese vom Arzt/Ärztin weiterverordnen zu lassen. Hier springen zukünftig die Therapeut:innen ein und stellen die Weiterverordnung aus. Ein echter Gewinn für die Patient:innen!
Bei Medizinprodukten ist es eine ähnliche Erleichterung. Für Kommunikationsgeräte, Rollstühle und ähnliche Hilfsmittel mussten Patient:innen bisher immer noch zu Arzt/Ärztin für die Verordnung. Wenn wir MTDs jetzt aber einen entsprechenden Bedarf feststellen, können wir auch gleich die Verordnung ausstellen. Welche genau das sind, wird der MTD-Beirat klären.
MTD-Beirat
Und dieser Beirat ist nicht ganz neu, aber cool, weil er einen direkten Draht bringt und Ärzte nicht automatisch dabei sind, Abschnitt 5, § 57.
Kommentar zur ärztlichen Beteiligung
Mich hatte bei den Verhandlungen schon sehr irritiert, dass sehr viele Kolleg:innen aus dem ärztlichen Dienst an den Verhandlungen über die MTD-Gesetze beteiligt waren. Wir sind eben kein Hilfsdienst mehr und müssen nicht mehr durch Ärzt:innen kontrolliert werden. Das gefällt mir am MTD-Beirat sehr.
Diagnostik
Hier gab es in der Vergangenheit ja am meisten Diskussionen. Machen Therapeut:innen nur eine Befundung oder auch eine Diagnostik? Wenn ja, wann? Und was ist in diesem Zusammenhang mit den ärztlichen Diagnosen?
Mit dem neuen MTD-Gesetz ist das für alle MTD-Berufe geklärt. Klar gibt es auf den Anordnungen eine ärztliche Diagnose, aber die dient als Grundlage und kann durch eine eigene Diagnose ersetzt werden, wenn das aus therapeutischer Sicht richtiger ist. Wir Logopäd:innen haben im Speziellen ja das Diagnostikinstrument FEES – die als Teil der Dysphagiediagnostik demnach uns gehört. Ganz besonders, wenn wir eine diagnosegestützte und evidente Therapie planen wollen, brauchen wir das. Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass MTD-Berufe „medizinisch-therapeutisch-diagnostische Maßnahmen“ durchführen, in der Diagnostik und Therapie.
Fortbildungen
Im Prinzip sind Fortbildungspunkte mit dem neuen Gesetz Geschichte. Nicht weil sie schlecht waren, sondern weil es nie eine wirklich gute Organisation dazu gab. Ab sofort sammelt man als Therapeut:in einfach die Bescheinigungen über die Teilnahme und zählt am Ende die Stunden zusammen. Das ist einfacher, realitätsnäher und sorgt für eine einheitliche Regelung. So steht es im 2. Hauptstück, 2. Abschnitt §38. Es klingt hier schon durch, dass die Wissenschaftlichkeit eine wichtige Rolle spielt.
Forschung und Lehre
Diese Wissenschaftlichkeit schlägt sich in einem anderen Bereich noch deutlicher nieder. Es ist zwar nur eine kleine unscheinbare Formulierung im 1. Hauptstück §1 Abschnitt 2. Da heißt es: „Die Angehörigen der MTD-Berufe führen medizinisch-therapeutisch-diagnostische Maßnahmen unmittelbar am Menschen (…) durch. Dies erfolgt (…) im kurativen, habilitativen, rehabilitativen und palliativen Bereich, in der Gesundheitsförderung und Prävention, in intra- und extramuralen Settings sowie Forschung, Entwicklung und Lehre.“ Wenn man es so will, ist die Logopädie – sind alle MTD-Berufe – jetzt auch eigene Forschungsdisziplinen. Das ist ein Gewinn, eine deutliche Aufwertung und wird in der Zukunft noch spannend.
Fazit und Ausblick
Ich persönlich bin zufrieden mit dem neuen Gesetz. Einige Formulierungen irritieren mich: Sprache, Sprechen, Stimme und Hören sind als „individuelle Kommunikationsfähigkeit“ zusammengefasst. Andere Formulierungen gehen weiter als ich es zu hoffen gewagt hätte: „Diagnostik“.
Das neue Gesetz zwingt uns mehr zu dokumentieren, soweit ich das übersehe, aber es soll auch nicht nur uns helfen, sondern maßgeblich die Sicherheit unserer Patient:innen gewährleisten. Dafür ist das gut.
Für alle Kolleg:innen in Deutschland würde ich mir wünschen, dass es bei euch ähnlich erfolgreich wird, vielleicht ohne die ganzen Diskussionen, die haben wir für euch schon mal erledigt.